Deutschland im Halbfinale – Wie geht es weiter?
Die Siegeshymnen und Autokorsos nach dem atemberaubenden Sieg im Viertelfinale gegen die Italiener sind noch nicht ganz vergessen, da muss man sich schon mit der nächsten Herausforderung beschäftigen. Aber so ist das nun mal in einem Turniermodus. Aufgrund dieser kurzen Zeitspanne zum nächsten Spiel fehlen daher Jogi Löw außer dem gelbgesperrten Mats Hummels nun auch noch Sami Khedira mit einer Verletzung im Adduktorenbereich und Mario Gomez mit einem Muskelfaserriss im Oberschenkel. Für Letzteren hat sich die Europameisterschaft somit komplett erledigt. Was das für das deutsche Spiel bedeutet, wo weitere Probleme liegen, was Mehmet Scholl mit seiner Kritik zum Ausdruck bringen wollte aber auch was Hoffnung macht auf den Einzug ins Finale, das will der Fussballblogger hier aus seiner Sicht der Dinge schildern.
Gradlinig aber etwas mutlos
Das Spiel gegen Italien lief wie von vielen vor Beginn erwartet. Die weißen Grazien des DFB tänzelten um die blaue italienische Mauer herum, die sich vor dem Strafraum der Südeuropäer positioniert hatte. In weiten Strecken der Partie allerdings agierten Jogis Jungs etwas ideenlos aufgrund der vielbeinigen italienischen Abwehrreihe. Hohe Flanken wurden zumeist von den drei Türmen Chiellini, Bonucci und Barzagli abgefangen und auch durch die Zentrale war praktisch kein Hindurchkommen. So war es ein völlig unorthodoxer Angriff, der uns in Führung brachte. Der stets engagierte Mario Gomez wich für seine Spielweise untypisch auf den Flügel aus und setzte mit einem Klassepass (wie man ihn von Mesut Özil erwarten würde) Jonas Hector in Szene, der in die Mitte spielte und dort Mesut Özil fand, wo eigentlich Mario Gomez stehen sollte. Dies war nahezu die einzige Szene im Spiel mit der die Deutschen Unberechenbarkeit demonstrierten. Eine weitere Großchance hatte dann noch Mario Gomez, der diesmal in Stürmermanier geschickt seinen Verteidiger abschüttelte aber vielleicht besser hätte direkt abschließen sollen, bevor er von Chiellini gestört wurde.
EM-Aus für Mario Gomez
Wenn also Gefahr vom deutschen Spiel ausging, dann war Mario Gomez beteiligt. Dieser Trumpf fehlt uns nun also gegen Frankreich. In meinen Augen der schwerwiegendste Ausfall. Somit muss ein Thomas Müller nun zu seiner EM-Form finden, die er bisher leider noch bei weitem nicht gezeigt hat. Wer ihm zur Seite stehen wird ist indes noch unklar. Wird es Julian Draxler sein, der gegen Italien eingewechselt wurde oder vielleicht doch wieder Mario Götze, der zu Beginn der EM den Vorzug erhielt? Man darf in dieser Hinsicht gespannt sein.
Sami Khedira verpasst das Halbfinale
Für den Ausfall von Sami Khedira gibt es mehrere Möglichkeiten zur Kompensation. Bastian Schweinsteiger hat gezeigt, dass er durchaus im Stande ist 90 Minuten zu spielen, allerdings in meinen Augen mit klaren athletischen Defiziten zu Khedira und auch zu dem Schweinsteiger, der den FC Bayern München vor der letzten Saison gen Manchester United verließ. Eine weitere Alternative könnte nun Julian Weigl vom BVB aus Dortmund sein. Dass man auf die Jugend bauen kann, hat Joshua Kimmich vom FCB bereits bei der EM gezeigt, warum also nicht auch Weigl zu seinem EM-Debüt verhelfen. Dass er defensiv zweikampfstark ist, hat er bei Borussia Dortmund unter Beweis gestellt. Sicherlich nicht in dem Maße wie es ein Khedira wäre, aber in Sachen Ballsicherheit und Passspiel ist Weigl dem Routinier vielleicht sogar ein paar Schritte voraus. Mit ihm und Kroos im defensiven Mittelfeld könnte man mit einem sicheren Passspiel rechnen. Vielleicht rückt auch Kimmich auf die 6er-Position und hätte somit die Chance auf der dritten Position bei dieser Europameisterschaft zu glänzen. Das würde bedeuten, dass Benedikt Höwedes wieder rechts außen in der Kette spielen müsste. Für den gesperrten Hummels wäre in diesem Fall, der im ersten Spiel gegen die Ukraine überragende Shkodran Mustafi wohl der passende Ersatz. Jogi Löw hat somit in dieser Hinsicht adäquates Material zur Hand.
Gelbsperre für Mats Hummels
Die Sperre von Mats Hummels ist in doppelter Hinsicht ärgerlich. Zunächst weil er zusammen mit Boateng wohl eines der derzeit besten Innenverteidiger-Duos der Welt bilden dürfte und sein Ausfall sportlich schwer wiegt. Zum Anderen weil die beiden Aktionen aus denen seine gelben Karten resultierten als äußerst strittig, wenn nicht sogar grundlegend als Fehlentscheidungen bezeichnet werden können. Aber wie bereits erwähnt dürfte ein Mustafi oder ein Höwedes durchaus die internationale Klasse haben um in einem EM-Halbfinale neben Boateng zu spielen.
Scholls Kritik für Löws taktisches Vorgehen
Nun steht und fällt aber alles mit dem System und der taktischen Einstellung die Jogi Löw wählt. So überraschte er gegen Italien mit einer Dreierkette um den Italienern Herr zu werden. Wer sich an die vergangene EM 2012 erinnert, so erhoffte er sich ebenfalls im Spiel gegen Italien mit derselben Methode den Erfolg. Damals wurde ein Toni Kroos aufgeboten um Andrea Pirlo aus dem Spiel zu nehmen. Schon damals waren viele Experten der Meinung, dass das DFB-Team zu stark sei um sich auf den Gegner einzustellen und stattdessen so spielen solle, dass sich die Italiener unserem Spiel anpassen müssen. Was damals in die Hose ging, führte diesmal zu einem denkbar knappen Sieg im Elfmeterschießen. Das brachte TV-Experte Mehmet Scholl nach dem Spiel auf den Plan. Er brachte genau diese Kritik von 2012 wieder hervor und zeigte seinen Unmut über die taktischen Umstellungen von Löw und seinem Trainer und Taktik-Team. Hätte, wäre und wenn kann man sich nun sparen. Glück gehabt muss man sagen. Es hat zum Sieg gereicht und das ist wohl das Wichtigste. Ob das Spiel anders ausgegangen wäre, wenn man im System vom Achtelfinale gegen die Slowakei aufgelaufen wäre, bleibt ungewiss. Ich selbst hatte mich zunächst auch etwas über die Umstellungen geärgert, aber bis auf ein oder zwei Situationen im Spiel stand die deutsche Hintermannschaft bombenfest. Bezeichnend, dass das Tor für Italien durch einen Elfmeter fiel, dem ein Handspiel von Boateng vorausging. Ein Handspiel wie es ihm sicherlich nie mehr unterlaufen wird. Dass es trotzdem zum Sieg reichte freut mich vor allem für ihn, der eine absolut überragende EM spielt und es schade gewesen wäre, wenn sein einziger Fehler im Turnier das Ausscheiden eingeleitet hätte. So muss ich abschließend zu dieser Thematik sagen, ich kann die Kritik von Mehmet Scholl voll und ganz verstehen. Allerdings muss ich Löw aber auch zugestehen, dass er die „Eier“ hat, die Oliver Kahn seiner Zeit immer gefordert hat. Trotz der Kritik die es in der Vergangenheit für ihn und seine Umstellungen gab, bleibt er seinem Konzept treu und diesmal reichte es zum Sieg.
Fazit
Die vielen Ausfälle wiegen schwer aber die oben genannten Namen und Varianten sowie ein überzeugter und mitreißender Bundestrainer stimmen mich absolut optimistisch für das anstehende Halbfinale gegen den Gastgeber aus Frankreich.